Mehr als Marionetten

Alle zwei Jahre im Herbst verwandelt sich Charleville-Mézières zu einer einzigen Theaterbühnen. Von morgens um 10 bis tief in die Nacht treten auf allen Plätzen an jeder Straßenecke und in jedem Saal Marionetten, Stabpuppen oder menschliche Figuren auf und verzaubern und begeistern von filigranen Darbietungen, über grotesken Improvisationen bis hin zu illuminierten Spektakeln Jung und Alt. Offiziell fand das erste Weltfestival des Puppenspiels 1961 statt, dessen Gründer Jacques Félix bis 2020 die Leitung inne hatte. Die Idee stammte aber wohl tatsächlich von Marionettenauftritte zur Verkehrserziehung für Schulkinder, wie ich mich an Plakate im Treppenhaus des Hotel de Paris erinnere, die aber seit dessen Renovierung verschwunden sind.

Über 200.000 Besucher werden zum Festival Mondial des Théâtre de Marionettes vom 19. bis 28. September 2025 in Charleville-Mézières erwartet.

In Charleville befindet sich wohl eine der ersten Schulen weltweit, die Schauspieler in der Fachrichtung Figurentheater ausbildete. Heute wird auch an verschiedenen deutschen Hochschulen für Musik und darstellende Kunst die Fachrichtung Figurentheater mit Bachelor-Abschluss angeboten, was nichts mehr mit dem Kasperl-Possen der 50er Jahren des letzten Jahrhunderts zu tun hat. Dies spiegelt sich auch in CMZ in den unterschiedlichen Darstellungsformen wider, die bis 2019 sogar in zwei unterschiedlichen Organisationen ihren Niederlag fand. Das OFF en salle (MCL Ma Bohème) und das OFF de rue (FMTM). Erst 2023 kooperierten die beiden Organisationen, wobei MCL Ma Bohéme für 40 französische und ausländische Kompanien in 42 Shows und 200 Auftritten vor 15.000 Zuschauern an 10 Tagen die Vorhänge aufziehen ließ. Wer in die Auswahl der auserkorenen Kompanien gelangt, darf sich mit dem Ritterschlag ausgezeichnet fühlen. Der Preis einer Fachjury ist die absolute Krönung für das entsprechende Ensemble. Dagegen vergibt das Off du Rue einen Publikumspreis für die beste Darbietung in der Freifläche: den Coup de Coeur du OFF.

Klassische Handpuppen aus dem Musée de l’Ardenne

Während es bei der Off de salle empfehlenswert ist, sich im Vorfeld intensiver mit dem im Programmheft geschilderten Aufführung vertraut zu machen, denn nicht alle Komödien von Molière sind einem in einer Zusammenfassung von 45 Minuten vertraut oder auch 600 Seiten Moby Dick auf 43 Minuten komprimiert nicht geläufig. Ebenso bleiben bei etlichen Aufführungen mit Lichtorgeln die Installationen ohne Erläuterungen schwer- bis unverständlich. Dagegen sind die Straßenvorführungen ohne Sprachkenntnisse zu verstehen und man lässt sich einfach mit den anderen Zuschauern von Schauplatz zu Schauplatz treiben.

Über 200.000 Zuschauer kamen 2023. Süd-Korea war das Gastland

Wer jedoch des Laufens müde ist, setzt sich in den Außenbereich eines der zahlreichen Straßencafés oder -restaurants rings um den Place Ducale und wartet ab, was einem von den vorbeiziehenden Companien geboten wird. Besonders in den Abendstunden, wenn für illuminierte Truppen die Plätze und Straßen frei gemacht werden, sind sie die Eye-Catcher und man lässt sie auch gerne mehrfach defilieren. Manchmal, besonders an regnerischen Abenden, ergeben sich in den Cafés auch interessante Gespräche. Dann erfährt man, dass sie Off de rue kein Honorar von der Stadt erhalten, von den Zuschauergeldern ihre Unterkunft selbst bezahlen müssen, und dass sie dann doch lieber bei ähnlichen Festivals in Süd-Frankreich gegen ein städtischen Taschengeld lieber in ihren umgebauten Autos schlafen als im kalten Ost-Frankreich. Das Vagantenleben war noch nie leicht und vom Applaus, als dem Brot der Straßenmusikanten satt zu werden, immer sehr schwierig.

Blick hinter der Kulisse der großen Marionette. Die vier Söhne des Aymon warten vor Karl dem Großen auf den Glockenschlag und ihren Auftritt

Informationen: Rathaus, Abteilung für kulturelle Aktion offderue@mairie-charlevillemezieres.fr – +33 (0)3 24 32 44 40

Für Eintrittskarten: Informationen: MCL Ma Bohème mcl.maboheme@orange.fr – +33(0)324333185

Das Programm für das FTMT2025 mit Angaben zu den Kompanien (3 Kindervorstellungen) unter: http://festival-marionette.com/residences/2024-2025

Die brennende Puppe

„Richard III.“
Richard, der jüngste Bruder von König Edward IV., Herzog von Gloucester, wurde missgebildet und verkrüppelt geboren. Vom Ehrgeiz verzehrt, wird er Morde anhäufen und sich seinen Weg zum Thron von England erkämpfen, um so König Richard zu werden.
Richard III. ist der blutige Aufstieg und Fall eines Tyrannen, der aus dem Chaos einer vom Bürgerkrieg geprägten Ära geboren wurde. Diese Adaption von Shakespeares Werk zeigt das Gleichgewicht von Macht, Manipulation, Verrat und Revolution durch die Vermischung von Tanz, Schauspiel und Puppenspiel.

Aufführung durch die Companie La Poupé qui brûle aus Rennes im September 2025

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