80 Jahre danach

Spätestens im nächsten Jahr werden alle Archive zur Geschichte der Resistance geöffnet sein, und in Frankreich ist bereits eine Diskussion ausgebrochen, wer gehörte dazu? 504 Bürger von Charleville und aus der Umgebung sind in Konzentrationslager deportiert und getötet oder vor Ort erschossen worden. Ihrer wird auf dem Plateau de Berthaucourt rechtsseitig der Meuse gedacht.

In einem Vortrag der Société d’Histoire des Ardennes beleuchtete Philippe Lecler die Aktionen der Resistance und ihre heutige Wertung. Für mich als deutschen Zuhörer eine vollständig neue Betrachtungsweise und auch für viele französische Zuhörer viel Diskussionsstoff,

Mit der Kapitulation Frankreichs am 22. Juni 1940 werden große Landesteile von der Wehrmacht besetzt, der mittlere Teil und der Süden bleiben unbesetzt und von der Regierung unter General Pétain vorerst in Vichy verwaltet.

Um nicht in deutsche Kriegsgefangenschaft zu geraten, flüchten Reste der französischen und der britischen Armee in die unbesetzte Zone. Sie bilden ein wichtiges Rückgrat für den Widerstand, geleitet von de Gaulle aus London. Man darf sich die Resistance jedoch nicht als eine geschlossene Einheit gegen Nazi-Deutschland vorstellen, sondern eher als viele kleine Einheiten, die ohne oder mit nur sehr wenigen Kontakten zu anderen Resistance-Kämpfern agierten. Eine der größten in sich geschlossenen Kampfeinheiten waren die kommunistischen Resistance-Kämpfer, die aber einen internen geistigen Spagat vollziehen mussten. Der zwischen Hitler und Stalin geschlossene Nichtangriffspakt hätte die französischen Kommunisten zur Waffenruhe verpflichtet, zugleich wurden sie aber von Hitlers Sicherheits-Dienst (SD) und geheimen Staatspolizei (GeStaPo) gnadenlos verfolgt. Außerdem führte sie die französische Polizei schon vor Kriegsbeginn auf Listen, und die Arbeit der Verhaftung, Deportation und Ermordung überließ man nun auch gerne den deutschen Besatzern. Ohne die Mithilfe der französischen Gendarmerie hätten viele Aktionen der Deutschen, insbesondere gegen Juden, nicht so erfolgreich sein können. Nach Ende des Krieges wurde die Gendarmarie für diese Unterstützung nicht zur Rechenschaft gezogen, wie auch in Deutschland für die Justiz ihre Rechtsbeugung folgenlos blieb.

Im Publikum stellte sich immer wieder die Frage, wer eigentlich als Mitglied einer Resistance-Gruppe geführt werden könne. Zweifelsohne sind es die Ermordeten, aber sehr viele bleiben namenlos. Derzeit sind an der Stadtmauer von Charleville sechs Tafeln mit den Portraits von 108 Männern zu sehen, die, wenn ich den Begleittext richtig interpretiere, auf Geheiß von Charles de Gaulle in einem Pariser Atelier fotografiert wurden und aus der Region Ardennes stammen. Interessanterweise ist unter den Fotografierten keine Frau und wie man mir sagte, auch sehr wenige Kommunisten. De Gaulle bildete nach Kriegsende (zwangsweise) mit den Kommunisten seine Regierung. Wenn heute die Kommunistische Partei Frankreichs keine Bedeutung mehr hat, ist ihre Bedeutung in der französischen Geschichte aber nicht zu leugnen. Ebenso wie die Rolle der Frauen als Nachrichtenübermittlerinnen, Botengängerinnen oder Waffen- und Sprengstofftransporteurinnen. Denn ein Mann im wehrfähigen Alter war viel auffälliger und wurde ständig kontrolliert, als eine unauffällig gekleidete Frau unter tausenden Flüchtlingen. Es schien im vollbesetzten Saal Einmütigkeit zu herrschen, dass die Gesichter der Resistance um einige Portraits erweitern werden müssten.

Es gibt die Wahrheit und es gibt die ganze Wahrheit.

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