Das Ende des Großen Krieges

11. Nov. 2025

Gestern war in Frankreich Feiertag. Nicht Karnevalsauftakt, nicht St. Martin, sondern Unterzeichnung des Waffenstillstandes zwischen dem Deutschen Reich und Frankreich, bzw. der Entante, also aller Nationen, die an den Kämpfen an der französischen Ostfront beteiligt waren. Im Speisewaggon aus dem eigentlich völkerverbindenden Orientexpress, wurden jene Kapitulationserklärung unterzeichnet, die später im Versailler Vertrag den Samen der Katastrophe des 2. Weltkrieges in sich trug. Warum aber wird heute noch in Frankreich der 11. Nov. nach 107 Jahren mit Kranzniederlegungen und militärischen Ehren gefeiert? Es ist für die Franzosen kein Tag des Sieges, kein Tag der Freude, sondern man gedenkt der Toten, die für Frankreich erschossen, von Granaten zerfetzt oder schlichtweg wegen mangelnder Hilfe in einem Kampf verblutet sind.

An elf Gedenkstätten legte Bürgermeister Boris Ravignon in Begleitung seiner Kinder Blumengestecke ab und wurde die Marseilles intoniert. Man gedachte der Toten des Großen Krieges, wie der 1. Weltkrieg in Frankreich genannt wird, der mit einem unerhört hohen Blutzoll gerade nördlich und südlich von Charleville-Mézières erkämpft wurde. Während die deutsche Armee 1,8 Mio. tote Soldaten bei 13,25 Mio. (1:7 oder 13 %) mobilisierten Soldaten zählte, beklagten die französischen Militärs 1,36 Mio. Gefallene bei 8.4 Mio. (1:6 oder 16 %) mobilisierten Soldaten. Nicht eingerechnet sind auf Seiten der Entend die Verluste der Briten, Amerikaner und Portugiesen sowie Nordafrikaner.

Kranzniederlegung im Bahnhof von Charleville-Mézières in Gedenken an die getöteten Eisenbahner

Ich bin kein Militärexperte, aber die Todesfälle rühren nicht allein aus Kampfhandlungen, sondern auch durch Krankheiten wie Typhus oder Ruhr, die besonders in der Etappe ihre Opfer forderten. Louis Barthas, ein Küfer aus Südfrankreich, hinterließ ein umfangreiches Kriegstagebuch, in dem er täglich eindrucksvoll die Unmenschlichkeiten, das Grauen aber auch die Langeweile in den Schützengräben, das Ausharren neben dem toten Kameraden und den täglichen Kampf mit den vollgefressenen Ratten schildert, während er wegen Feindbeschuss seit Tagen nichts zu Essen hat, bei Kälte und Regen. Während der Erholungsphasen berichtet er in der Etappe von Schikanen durch arrogante Offiziere und traumatisierte Kameraden. Er, der unbedeutende Korporal, war während des gesamten Krieges an der Front, kämpfte an der Somme und in Verdun, blieb aber unverletzt. Allerdings lag er auch mehrere Monate wegen schlechter Verpflegung oder anderer Mangelerscheinungen im Lazarett. Er berichtet von Meutereien der Infanteristen, die Höhenzüge erobern sollten, an denen am gleichen Tag bereits mehrere Versuche gescheitert waren. Die Unsinnigkeit von Kriegen aus der Sicht des gemeinen Soldaten, der nichts gewinnen, sondern nur sein Leben verlieren kann, machte ihn wohl zum Pazifisten. Das Tagebuch „Les carnets de guerre de Louis Barthas, tonnelier, 1914 – 1980“ wurde erst 1977 von seinem Enkel publiziert und ist zwar in einige Sprachen übersetzt worden, leider aber in deutsch nur in einigen Auszügen.

Welche tiefgreifende Spuren der Große Krieg heute noch in der französischen Politik hinterlassen hat und wie bedeutend der 11. Nov. geblieben ist, zeigte sich in diesem Jahr, als für die Finanzierung der Pflegeversicherung debattiert wurde, ob man Ostermontag oder den 8. Mai als Feiertag abschaffen sollte. Letztendlich wurde kein Feiertag abgeschafft, aber der Siegestag über Hitler-Deutschland, das Ende des Zweiten Weltkrieges stand zur Debatte, jedoch nicht der viel entferntere 11. Nov. 1918. Vielleicht aber hatten die Verantwortlichen auch nach Deutschland geschaut und gesehen, dass die Abschaffung von Buß- und Bettag auf Vorschlag von Norbert Blüm und Helmut Kohl der Pflegeversicherung keine Stärkung brachte. Auch hat die Einführung des 6. Jan. (Hl. Drei Könige) als Feiertag und die Beibehaltung des Buß- und Bettages im wenig konfessionellen Freistaat Sachsen durch Ministerpräsident Kurt Biedenkopf der Pflegeversicherung nicht geschadet. Immerhin war Kurt Biedenkopf Rektor der Ruhr Universität Bochum und hielt kurzfristig Vorlesungen in Nationalökonomie an der Universität Leipzig.

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