Deutscher Film mit französischem Untertitel

Gut, ich bin in Charleville-Mézières um französisch zu lernen, und nicht, um in einer deutschsprachigen Blase Urlaub zu mache. Aber ich wurde von Annie eingeladen, mit ihr ins Kino zu gehen und den deutschen Film „Zwei zu Eins“ (La belle Affaire) mit französischen Untertitel anzuschauen. Annie ist Deutschlehrerin im Ruhestand und war häufig auch für längere Zeit in Deutschland. Zwei zu eins spielt 1990, als die Mark Deutscher Noten der DDR in DM umgewechselt wurde. 4.000 MDN wurden für Erwachsene 1:1 umgetauscht, Beträge darüber 1:2. So wurden die Bankkonten von älter als 59 Jahre (6.000 MDN), Kinder (2.000 MDN) und vielen ärmeren Verwandten aufgefüllt und es kam ein Stück Starthilfe zu den neuen Bundesrepublikanern.

Das Kino von Charleville-Mézières

Die DDR wollte ihre Währung verbrennen oder schreddern, wozu aber die Kapazitäten fehlten und die Geldscheine deshalb in Stollen einbunkerte, in denen sie verrotten sollten. Dies fanden aber drei Freunde raus, die das Geld für die gesamte Wohngemeinschaft eines Plattenbaus klaute und damit Westware gegen höhere Beträge einkaufte, denn westdeutsche Unternehmer konnten weiterhin unbegrenzt tauschen.

Annie war in diesem Monat gerade in Ostdeutschland gewesen, kannte diesen Hintergrund und ein Bekannter, den wir zufällig im Foyer des Kinos trafen, deutschsprachiger Elsässer, begleitete uns – wir drei waren die einzigen Zuschauer. Die Übersetzung der Untertitel war korrekt, aber es fehlte alles, was die Ironie des Films betrifft. der geistig mittelmäßig ausgestattete Abschnittsbevollmächtigte kommt mehr als Stasi rüber, denn als eine Fortsetzung des Blockwarts aus Nazi-Deutschland. Er notierte in einer Kladde den Besuch der Westverwandtschaft, fragte hinterlistig, ob man diese oder jene Sehenswürdigkeit auch schon besichtigt habe, um dann zu notieren, dass die Westverwandtschaft ohne Erlaubnis die Kreis- oder gar die Bezirksgrenze überschritten hatte. Denn die Reisefreiheit der Westdeutschen endete bereits an der Kreisgrenze.

„La belle Affaire“, der französische Titel zu 2 zu 1″ mit drei Freunden und einem Trabbi

Die Anspielungen auf IKEA wurden von meiner Begleitung gar nicht verstanden, denn es waren diese Schrauben und Muttern, die in Halberstadt produziert, als Weltmarktartikel nach Schweden exportiert wurden, oder eben dem IKEA-Möbel auch mal fehlte, weil in der DDR das Material ausgegangen war. Es fehlte manchmal ein Bohrloch in einer Holzleiste, weil ein abgebrochener Bohrer nicht ersetzt werden konnte. Lunke (Martin Brambach) stellt abschließend resignierend fest, dass man keinesfalls für den Weltmarkt geschuftet hatte, um den Weltfrieden zu erhalten, sondern dass man betrogen wurde, um dem Klassenfeind ein bequemes Leben zu ermöglichen.

Ein Film, der 35 Jahre später mit so viel sprachlichem Doppelwitz daher kommt, dass man als (West-)Deutscher nicht jede Pointe mitbekommt und als französischer Deutschlehrer den Film auch gut einem Leistungskurs Deutsch vorführen kann, dem dann jedoch möglichst ein ehemaliger Bürger der Deutschen Demokratischen Republik, dem ersten Arbeiter- und Bauernstaates auf deutschem Boden, beiseite stehen sollte. Mir blieb in der sich anschließenden Diskussion viel fehlendes Wissen hinzuzufügen und manche Erklärung als Hintergrundwissen einfließen zu lassen.

Nur, erklärte Witze sind nicht mehr witzig.

Eine Antwort auf „Deutscher Film mit französischem Untertitel“

  1. Hallo Rüdiger, jetzt muss ich erstmal ein Kompliment für Deinen Blog aus CMZ loswerden. Ich lese Deine regelmäßigen Berichte sehr gerne. Sie sind unterhaltsam und auch sehr informativ. Wünsche Dir noch eine schöne Zeit in Frankreich und freue mich darauf, von Deinen weiteren Erlebnissen lesen zu dürfen. Liebe Grüße, Martin

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