Denkpause

Einige Tage hatte ich meinen Labtop nicht eingeschaltet, nicht aus Unlust, sondern aus der Alltäglichkeit des Lebens in CMZ heraus. Was es im letzten Jahr noch alles zu entdecken gab, wird heute als Bekanntes und nicht mehr für erwähnenswert erachtet – dabei ist Vieles eines zweiten, eines durchdringenderen Blickes wert. Ein solcher Ort war, ist und wird bleiben der Waschsalon. In diesem Jahr habe ich ein Appartement ohne Waschmaschine angemietet, weil das einzige Logement mit Vollwaschautomat etwas zu weitläufig vom Artisant du Monde liegt. Dafür habe ich in 400 m Entfernung einen Waschsalon (Rue Forêt) mit sieben Waschmaschinen und drei Trocknern dank KI gefunden, während Google mir nur Autowaschanlagen mit Unterbodenwäsche und Lackpolitur anbot – was mich altersmäßig aber auch nicht mehr aufhübschen kann.

Waschsalon der Rue Foret

Mein Rat an junge, aufstrebende Romanciers – sollte es an Ideen mangeln: Geht mit einem kleinen Sack Feinwäsche in einen Waschsalon und stellt euch hilflos und beratungsbedürftig. Ihr werdet Dutzende von echten Lebensgeschichten hören, dass ihr in nur einer Woche so viele Kurzgeschichten schreiben könnt, wozu James Joyce in seinen Dubliner Monate brauchte. Natürlich sind alle Waschmaschinen in CMZ französisch beschriftet, wobei ich erst nach 20 Minuten bemerkt habe, dass man die Sprachführung auch auf Deutsch umschalten kann. Aber das ist bereits fast die zweite Geschichte.

Ich füllte meine Schmutzwäsche in die Trommel und fragte eine Frau mittleren Alters, ob das Waschmittel automatisch eingeführt wird, oder aus einem Extrabehälter gekauft werden müsse. Nein, nein, in fünf Euro für sieben Kilogramm sei alles inklusive und als sie sicher war, dass ich zum ersten Mal in einem französischen Waschsalon war, erklärte sie mir die weiteren Schritte am Touchscreen. Sie könne, und setzte dabei ihren Korb mit der fertigen Wäsche ab, fast alle Sprachen verstehen, Das läge daran, dass ihre Mutter Portugiesen sei, ihr Vater aber Franzosen. Ihre Großmutter väterlicherseits stamm aber aus dem Maghreb. also Nordafrika und sie habe dort zwei Jahre gelebt und spräche noch immer ganz gut arabisch. Als ich sie auf Portugiesisch anspreche, winkt sie jedoch ab, denn ihre Mutter habe immer französisch mit ihr gesprochen. Heute sei das aber dank des Smartphones alles kein Problem mehr und sie beginnt auf zu erzählen, was man mit dem Smartphone noch alles machen könne. Sie berichtet von ihren Kindern, die alle einen guten Arbeitsplatz hätten, nur seien zwei Töchter noch immer nicht verheiratet. Mir schwant, wie viele potentielle Schwiegersöhne angesichts des Redeschwalls der Mutter ihr Heil in der Flucht gesucht haben und vielleicht heute anderen Ortes glückliche Familienväter sind. Wäre ich geduldiger, ich hätte sicher noch Fotos von den Töchtern im Babyalter sehen können, die griffbereit in ihrem Portemonnaie zur Verlobungsattacke schlummerten. Ich baute eine sprachliche Barriere auf, ich würde noch nicht Alles verstehen und ich müsste noch ein paar Vokabeln während des Waschvorganges lernen.

Kundschaft am Trockner

Fast die Klinke in die Hand gab sie einer weiteren älteren Dame, die mit nur drei Schlafanzügen eintrat und diese nicht wusch, sondern gleich in den obersten Trockner warf. Etwas irritiert und ratlos stand sie vor dem Touch-Screen, bis ich bemerkte, dass er noch auf Deutsch eingestellt war. Ich zeigte ihr, dass sie auf das Flaggenemblem drücken müsse, dann erscheine die Tricolore und alles sei für sie wieder verständlich. Sie freute sich, lachte mich an und meinte, dass dies alles für ihr Alter doch schwer verständlich sei und sie leider schon Vieles vergesse. 1,50 € hielt sie in abgezählten Münzen in der Hand, warf sie in den Münzschlitz und begann mich in die Geheimnisse ihrer Haushaltsführung einzuweihen. Seitdem ihr Mann verstorben und ihre Waschmaschine kaputt gegangen sei, offensichtlich alles in zeitlicher Nachbarschaft, lohne sich für sie die große Wäsche nur noch selten. Die Schlafanzüge habe sie im Handwaschbecken gewaschen und ließe sie jetzt trocknen, dass sie schrankfertig seien.

Modern eingerichtet und auch in Deutsch die Betriebsanleitung im Waschsalon

Ob ich denn den L’Ardennaise heute schon gelesen habe und ob die Berichterstattung über das Basketballspiels denn wohl objektiv zu nennen sei, immerhin spiele doch ihr Enkel mit. Basketball sei doch die einzige Sportart, die ihr Enkel mit 1,85 Metern betreiben könne, für alles andere sei er einfach zu groß. Und es erfolgte ein Referat über die Körpergrößen der Franzosen seit ihrer Jugend mit 1,55 Metern und den Jungen heute, obwohl kein Ausländer bei ihnen eingeheiratet hätte. „1,85 Meter groß und dann verliert er trotzdem“, schüttelte sie den Kopf. Sie öffnete die Klappe des Trockners, angelte die Wäscheteile heraus, die sie in der Trommel nicht sehen konnte, zählte nach und legte alles zufrieden zusammen. „Wissen Sie, die Leuchttafel“, und dabei zeigte sie auf das Display, „das ist in Augenhöhe und leichter für mich zu lesen, als die der anderen Maschinen.“ Sie lachte verschmitzt, packte ihre sechs sorgfältig gefalteten Wäscheteile in die Plastiktüte, nickte mir zu und verabschiedete sich mit dem üblich Bon journée.

Alltagsgeschichten, die auch in Deutschland hätten geschehen können, aber in Dülmen bin ich so selten in einem Waschsalon. Warum nur?

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