Der Flaneur und die Crêpes

Nein, mein heutiger Arbeitstag beginnt nicht in aller Hergottsfrühe um 8 Uhr, das Artisans du Monde (AdM) öffnet erst um 14.00 Uhr. Ich flaniere, und das zur ungewöhnlichsten Tageszeit. Denn möchte man schick gekleidete und gut geschminkte Frauen heute in Charleville-Mézières sehen, muss man die Augen vor Bürobeginn in den Fußgängerzonen offen halten. Anschließend sind sie in den Büros verschwunden und bleiben nahezu unsichtbar.

Damenmode 1854

Bis zum Feierabend wird wenig Mode getragen, es dominiert der Einheitsbrei internationaler Konzerne mit ihrer Massenware aus Fernost.

Etwas Zeit sollte man beim Bekleidungskauf schon noch mitbringen, denn Hosen werden auf die tatsächliche Beinlänge des Trägers oder der Trägerin umgenäht. Das dauert nicht lange, aber Hauptsache die Größe stimmt, der Rest wird schon passen, gibt es nicht.

Auch müssen wir Deutschen auf die geliebte Schlaufe im Nackenbereich eines Mantels oder einer Jacke verzichten. Französische Kleiderständer sind so schwungvoll gebaut, dass ein Ärmel gut rüber passt.

Sehr schnell wird dem flanierenden Beobachter das „normale“ Körpergewicht der Kinder und der Jugendlichen auffallen. Während in Deutschland die Kleidergrößen heimlich in den asiatischen Schneiderein dem Körperumfang „angepasst“ wurden, war dies in Frankreich nicht nötig.

Nicht weil die französischen Jugendlichen schlankheits- und gesundheitsbewusster Essen, sondern weil sie in der üblichen Ganztagesschule ein Mittagessen ohne Hamburger serviert bekommen. Man geht nur Montags, Dienstags, Donnerstags und Freitags zur Schule, dann aber bis 17 Uhr und anschließend werden noch Hausaufgaben gemacht. Es ist in Deutschland zu erwarten, dass mit einem Mittagsessen in der Schule die übergewichtigen Klassenkameradinnen/en wieder weniger werden, und der Einkauf von zwei Schoko-Croissants als Pausenspeise zur Ausnahme wird. Nicht in jeder Gewichtsklasse muss man dem american-way-of-life nacheifern.

Die Ladenöffnungszeiten um 10.00 Uhr sind normal, zumal mindestens bis 19.00 Uhr geöffnet bleibt. Der Montag ist bei vielen kleinen Einzelhändlern ebenso Ruhetag, immerhin hatte man am Samstag einen Full-Time-Shop. Die Montagsöffnung des AdM bringt keinen Umsatz. Die Stadt ist trotz der 70.000 Einwohner incl. der umliegenden Dörfer recht leer. Die Kette Carrefour unterhält als einziger Vollsortimenter eine Filiale in der Innenstadt und wer einen Liter Milch benötigt, wird hier noch versorgt. Ansonsten habe ich noch keinen Metzger, außer einer Pferdemetzgerei, entdeckt. Wird erst einmal eine Metzgerei geschlossen, verliert damit den Bestandsschutz, greifen die EU-Hygieneregeln und die dann erforderlichen Investitionen in den alten Gemäuern sind so hoch, dass eine Wiedereröffnung nicht rentabel sein kann. Metzgereien gibt es in der modernen Markthalle, die zwar nur dreimal die Woche, aber als ein großer Lebensmittelsupermarkt Alles abdeckt.

Eis- und Waffelwagen am Place Ducale bleiben zum Wochenbeginn geschlossen

Allmählich lerne ich alle ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen des AdM kennen. Marie und Monique sprechen sehr gut, vor allem akzentfrei deutsch. Marie wurde in Trier als Tochter eines Offiziers geboren und ihr Sohn lebt in Berlin und ist mit einer Deutschen verheiratet. Monique könnte Deutsch unterrichten, stand aber seit den 90er Jahren nicht mehr vor einer Deutschklasse. Seitdem im Osten Frankreichs Deutsch kein Pflichtfach mehr ist, sondern alternativ Spanisch gewählt werden kann, dezimieren sich die Deutsch-Klassen. Deutsch gilt weiterhin als schwer, wobei übersehen wird, dass dann im Spanischunterricht die Zügel straffer angezogen werden können, weil viele grammatischen Feinheiten und Schwierigkeiten wie das Gerundium, bereits aus dem Französischen bekannt sein müssen. Monique korrigiert mich auch manchmal, wenn ich zu grobe Schnitzer spreche, was ich aber nicht als Belehrung, sondern als Hilfe empfinde.

Dank Google-Übersetzer lassen sich die schwierigsten Fachbegriffe wie Leinölsamen, Dinkel und Buchweizen klären, wobei damit noch keine Erklärung für die Verwendung gefunden ist. Jacqueline, sie stammt aus der Normandie, wo angeblich die Crêpes erfunden wurden, schwört darauf, dass Crêpes mit Buchweizenmehl hergestellt werden müssen und nicht wie üblich mit Weizenmehl. Für sie müssen Crêpes auch nicht mit Zucker bepudert oder mit Schokolade bestrichen sein, sondern dürfen ebenso mit Gemüse, Schinken, Pilzen oder Fisch gefüllt werden. Buchweizen, irreführenderweise botanisch kein Getreide sondern ein Gras, ist mir nur aus der Lüneburger Heide, also auf ausgesprochen mageren Standorten bekannt, was mir Jacqueline für die Normandie bestätigt. Die Pizza des Nordens meint sie, als sie auf die Variationen verweist.

Monique und Jacqueline erklären mir geduldig den Aufbau von AdM

Ein großes Regal mit Gewürzmischungen ist mir ein Rätsel. Viele entstammen den afrikanischen und den orientalischen Regionen, Gebiete, die einst französische Kolonien waren. Jacqueline, auch sprachlich mit der Küche des Maghreb vertraut, erklärt mir einige Verwendungen und kann demzufolge Kundschaft beraten. Ich habe Rezepthefte aus Dülmens 1-A-Laden mitgebracht und es wird deren unterstützende Verkaufsförderung anerkannt. Es schauen Brigitte und Veronique rein und gelegentlich Fabienne der Quotenmann, zuständig für die EDV und die Buchhaltung.

2 Antworten auf „Der Flaneur und die Crêpes“

  1. Lieber Rüdiger, ich habe bisher nicht gewußt, dass bei dir gut gekleidete und geschminkte Frauen solch einen Aufmerksamkeitswert haben. Das war ja schon das Thema bei der Zugfahrt nach CMZ (Schaffnerinnen mit rot lackierten Fingernägeln) so. Allmählich schwant mir, warum du nach Frankreich gefahren bist: wegen der Sprache und der schönen Frauen, die du dort wähntest und wofür du schon vor Bürobeginn durch die Straßen streichst.
    Bin auf den nächsten Blog gespannt. Schöne Grüße aus dem verregneten Dülm.
    Fritz

    1. Hallo Fritz,
      so eröffnen sich für Dich meine Abgründe. Ich werde jetzt mich zu diesem Thema zurückhalten, um nicht meine Rückkehr nach Dülmen zu gefährden.
      Aber ich denke, dass es den Frauen vollständig gleichgültig ist, welche Vorlieben ich habe – es gibt ja auch noch andere Werte, die ich keinesfalls missen möchte.
      Monique habe ich Dein Buch geschenkt, da sie als ehemalige Deutschlehrerin am besten Deine Spitzfindigkeiten herauslesen kann. Grüße auch an Doro aus dem verregneten CMZ von Rüdiger

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